in

Ruhe!

Lärm wird sehr subjektiv wahrgenommen, hat aber weitreichende Auswirkungen auf die Lebensqualität.

Ein Leben ohne Lärm ist heute für viele Menschen nicht mehr möglich. Lärm prägt unseren Alltag – ob zuhause oder am Arbeitsplatz. Lärm stört. Lärm macht krank. Mehr als man denkt.

Fabrice Müller

Das Schmieden von Werkzeugen aus Bronze ums Jahr 3’000 vor Christus war für die Menschheit ein epochaler Schritt. Die Werkzeuge ermöglichten den Menschen, Gegenstände herzustellen, die es vorher nicht gab. Das Hämmern und Bearbeiten von Bronze, diese metallischen Klänge – sie waren für das menschliche Ohr ebenfalls Neuland. Als später das härtere Eisen an die Stelle von Bronze trat, gehörte das Geräusch, das entstand, wenn mit schweren Hämmern das heisse Eisen bearbeitet wurde, für viele Menschen immer mehr zur Alltagsakustik. Im Mittelalter klapperten die Mühlen, hämmerten die Schmieden und brüllten die Händler, wenn sie ihre Waren auf den Märkten anpriesen. Eine Lärmkulisse, die bis weit in die Neuzeit hinein die Geräuschkulisse in vielen Städten prägte, war das Poltern eisenbeschlagener Räder, wenn sie über die Pflastersteine polterten. Ganz zu schweigen vom Knall der Peitschen. Mit der industriellen Revolution läuteten die stampfenden Maschinen und heulenden Motoren den Fortschritt, aber auch ein neues Geräuschzeitalter ein. Heute, im 21. Jahrhundert, ist der Verkehr mit Abstand die wichtigste Lärmquelle.

Von Diabetes bis Depressionen

Der Begriff Lärm hat seinen sprachlichen Ursprung im italienischen Ausdruck «all’arme» bzw. im französischen Ausruf «à l’arme», was so viel bedeutet wie: zu den Waffen! Um die Leute bei Gefahr zu alarmieren, zur Waffe zu rufen, wurde mittels Lärm Aufmerksamkeit erregt. Im Frühneuhochdeutsch stand «lerman» bzw. «larman» für Geschrei. Lärm gilt heute weniger als Warnruf, sondern in erster Linie als Umweltbelastung. Und als eine Gefahr für die Gesundheit. Gemäss der Weltgesundheitsorganisation WHO treten Gesundheitseffekte ab 40 Dezibel in der Nacht und ab 45 Dezibel am Tag auf. Martin Röösli, Professor am Schweizerischen Tropen- und Public Health Institut der Universität Basel, beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Lärms auf die Gesundheit. «Lärm wirkt auf verschiedenen Ebenen. Vor allem gilt Lärm als Stressor, der Körper greift <zu den Waffen> um sich zu schützen.» In epidemiologischen Studien wurde nachgewiesen, dass der Verkehrslärm beispielsweise mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, ein schneller Herzschlag, Stoffwechselstörungen, Schlaflosigkeit und Depressionen verbunden ist.

Auf die Art des Lärms kommt es drauf an

Wie sich der Lärm auf die Gesundheit auswirkt, hängt laut Martin Röösli stark mit der Art des Lärms zusammen. Eine Analyse der Reaktionen auf Bahnlärmereignisse etwa bestätigte, dass für die Aufwachwahrscheinlichkeit neben dem Maximalpegel eines Ereignisses auch die Plötzlichkeit eine Rolle spielt. Das heisst: Je schneller der Lärmpegel zunimmt, desto grösser die Wahrscheinlichkeit aufzuwachen. Im Schlaflabor reduzierten sich die Glukosetoleranz und Insulinsensitivität bei jungen Probanden nach vier Lärmnächsten. Die SAPALDIA-Studie, die als wichtigste bevölkerungsbezogene Langzeitstudie der Schweiz den Einfluss des Lärms auf die arterielle Steifheit untersuchte, wies nach, dass das Risiko für Übergewicht mit der Lärmbelästigung am Wohnort zu- und die körperliche Aktivität abnimmt. «Dies deutet darauf hin, dass lärmbedingte Störungen des Schlafs und eine Abnahme der Bewegungsfreude tagsüber sich langfristig ebenfalls negativ auf das Herzkreislaufsystem auswirken können», erklärt Martin Röösli. Studien konnten ferner einen starken Zusammenhang zwischen Verkehrslärm und Herzinfarkttodesfällen nachweisen. Vor allem für akute Herzerkrankungen sei der nächtliche Lärm problematisch, während für nichtakute Erkrankungen wie Herzinsuffizienz der Tageslärm bedeutender zu sein scheint. Gemäss der SiRENE-Studie wirkt sich die lärmbedingte Beeinträchtigung des Schlafs langfristig negativ auf die Gesundheit aus. Wie Professor Dr. Christo Pantev, Direktor des Instituts für Biomagnetismus und Biosignalanalyse an der Medizinischen Fakultät Münster, informiert, führt eine ständige Lärmbelastung – ob zuhause oder am Arbeitsplatz – zu Unkonzentriertheit und erhöhtem Stressempfinden bis zu belastenden Tinnitus.

Subjektive Wahrnehmung

Lärm ist jedoch nicht gleich Lärm. «Geräusche werden von uns sehr subjektiv wahrgenommen. Die einen empfinden das Motorengeräusch eines Motorrades als Sound, die andern als Belästigung», sagt Martin Röösli. Grundsätzlich jedoch gelte Lärm, der einen hohen Tongehalt hat , als besonders störend. Auch der stark ereignishafte Lärm wie ein plötzlicher Knall oder das Aufheulen von Sirenen sind Störfaktoren, ebenso Menschenstimmen oder auch der tropfende Wasserhahn kann stärker stören, als man aufgrund der geringen Lautstärke annehmen würde. «Lärm wirkt sich aber auch dann negativ auf unsere Gesundheit aus, wenn er uns nicht stört. Der Körper reagiert trotzdem darauf», gibt Martin Röösli zu bedenken. Bei Menschen, die bereits gesundheitlich oder psychisch angeschlagen sind, hinterlasse der Lärm zusätzlich negative Spuren, indem er die Symptome verstärkt und verhindert, dass sich der Körper regenerieren kann. Martin Röösli geht davon aus, dass rund 500 Herzinfarktfälle pro Jahr mit einer starken Lärmbelastung in Zusammenhang stehen. «Viele Menschen sind sich der Auswirkungen des Lärms nicht bewusst. Sie akzeptieren ihn und versuchen, so gut wie möglich mit ihm umzugehen», sagt Martin Röösli. Aber auch die Medizin berücksichtige den Lärm oft zu wenig. Dies liege unter anderem daran, dass die Lärmforschung ein noch junges Terrain ist. Die grossen Lärmstudien wurden erst vor etwa zehn bis 15 Jahren realisiert.

Soziale und gesellschaftliche Folgen

Neben den Auswirkungen auf die Gesundheit beinhaltet der Lärm eine soziale Komponente. Wie eine Studie von Immowelt.ch zeigt, ärgern sich rund 58 Prozent der Schweizer über ihre Nachbarn. Hauptgrund dafür ist der Lärm. Tom Steiner vom Institut für soziokulturelle Entwicklung der Hochschule Luzern, beschäftigt sich mit den sozialen Folgen des Lärms und mit dem Einfluss des Lärms auf die Stadtentwicklung. «Wir gehen unter anderem der Frage nach, wann sich die Menschen vom Lärm belästigt fühlen.» Lärm könne das soziale Gefüge und das Wohlbefinden innerhalb eines Quartiers massgeblich verändern. Dabei spielt laut Tom Steiner die der persönliche Bezug zur Lärmquelle eine zentrale Rolle. «Steht der Lärmverursacher in regelmässigem Kontakt mit den Anwohnern und nimmt deren Bedürfnisse ernst, wird der Lärm oft weniger störend wahrgenommen. Die Möglichkeit zur Mitsprache beeinflusst, wie die Menschen die Geräusche wahrnehmen.» Wird ein Quartier immer lärmiger, flüchten jene Bewohner, die es sich leisten können, in andere, ruhigere Stadtkreise. Sorgen verkehrsentlastende Massnahmen dafür, dass ein Quartier vom Lärm befreit wird – so beobachtet beispielsweise bei der Aufhebung der ehemaligen Autobahnverbindung durch die Zürcher Weststrasse – steigen die Attraktivität der Wohnlage und gleichzeitig auch die Mietzinsen. Dies sorgt für eine andere soziale Durchmischung. Neben dem Verkehr prägt das Nachtleben die städtische Lärmkulisse. «Hier prallen zwei Bedürfnisse aufeinander: Die einen wünschen sich ein attraktives Nachtleben, die andern wollen nachts ihre Ruhe», berichtet Tom Steiner. Es habe ein Wertewandel stattgefunden: Während früher ab 22 oder spätestens um 24 Uhr auch in der Stadt die Nachtruhe als allgemeiner Grundwert anerkannt war, fordern heute viele das Recht auf «Lärm» bzw. auf ein Nachtleben bis spät in die Nacht hinein, wo die lauten Bässe aus den Clubs hämmern – wie einst die Bronze- und Eisenschmieden.

Linktipp:

www.laerm.ch

Strategien für mehr Stille

Schützen Sie sich: Tragen Sie immer Gehörschutz, wenn es vorgeschrieben oder ratsam ist.

Rücksicht nehmen: Machen Sie nicht mehr Lärm als unbedingt erforderlich unter gegebenen Umständen erforderlich ist.

Schützen Sie Ihre Kinder: Überprüfen Sie das Spielzeug Ihrer Kinder. Knackfrösche und Schreckschusspistolen können auch bei kurzzeitiger Einwirkung erhebliche Gehörschäden nach sich ziehen.

Ruhige Freizeitgestaltung: Unterlassen Sie Freizeitaktivitäten, die mit viel Lärm verbunden sind. Falls sich dies nicht vermeiden lässt, lärmige Aktivitäten zu Tageszeiten mit weniger Störpotenzial ausführen – zum Beispiel zwischen 14 und 17 Uhr.

Zimmerlautstärke: Überprüfen Sie kritisch die Lautstärkeeinstellung an Ihren Radio- und Fernsehgeräten, von denen Sie täglich beschallt werden.

Kontrolluntersuchungen: Lassen Sie in regelmässigen Abständen Ihr Gehör von Fachleuten überprüfen.

Öfter mal Stille: Überdenken Sie Ihre Gewohnheiten: Muss der CD-Spieler, das Radio oder Fernsehgerät im Hintergrund laufen? Wir beeinflussen durch unser Verhalten und unseren Lebensstil, ob es um uns herum leiser wird oder nicht.

(Quelle: Deutsche Gesellschaft für Akustik DEGA)

Welche Farbe darf’s denn sein?

Im Einklang mit den Kräften der Natur