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Auf den Spuren der Liebe



Tiergartenhügel bei Mels SG: Die Ruhe, aber auch die Gegenwart alter Bäume des Eichenmischwaldes sowie des roten Gesteins mit seinen kleinen Höhlen und Nischen unterstreichen die mystische Ausstrahlung des Tiergartenhügels. Foto: Fabrice Müller

Unzählige Orte in der Schweiz waren einst Schauplatz romantischer oder auch tragischer Liebesbeziehungen. So erzählt es die Sagenliteratur. Ein neues Buch lädt ein zur Spurensuche.

Text: Fabrice Müller

Die Göttin vom Tiergarten heisst Verena. Eng mit der Göttin und späteren heiligen +Verena verbunden ist Minnesänger Tannhäuser. Der Poet lässt sich gemäss einer Sage aus dem Sarganserland durch das zügellose Leben auf dem Venusberg verführen. Sieben Jahre lang bleibt Tannhäuser, dann bereut er seinen Lebenswandel. Da er vom Papst jedoch die Absolution nicht erlangt, kehrt er auf den Venusberg zurück: „So geh’ ich wieder auf der Frau Vrenas Berg, lass mich durch nichts mehr abschrecken. Und schlafe bis am jüngsten Tag. Bis mich Gott selber tut wecken“, beschreibt diese Strophe aus dem Sarganser Tannhäuserlied die Rückkehr des Minnesängers auf den Hügel der Liebe. Die Legende besagt, dass derjenige, der ihn erlöst, Besitzer der goldenen Kette, die den Venusberg umspannt, wie auch des Kegelspiels wird, das auf dem Berg verborgen ist. Wer der Liebessage und diesem Berg auf die Spur kommen will, muss sich jedoch nicht nur mit der Sagenliteratur begnügen, sondern kann die Mystik dieses Liebesberges am eigenen Leib erfahren. Ab dem Bahnhof Mels führt eine eineinhalbstündige Wanderung auf den berühmten Sagenberg im Sarganserland – den sogenannten Tiergarten.

Wie ein riesiger Erdbrauch erscheint der Tiergartenhügel bei Mels mit rötlichem Gestein. In vorchristlicher Zeit kannte man ihn als heiligen Berg der Urmutter Verena. Foto: Kurt Derungs

Roter Inselberg im Walensee

Wie ein riesiger Erdbrauch erscheint dieser Hügel mit rötlichem Gestein. In vorchristlicher Zeit kannte man den Tiergartenhügel als heiligen Berg der Urmutter Verena. Einst ragte der Tiergartenhügel als roter Inselberg aus dem Wasser des früher um einiges längeren Walensees. Das rote Gestein ist wie geschaffen für einen Steinkultplatz. So gibt es mehrere Steinstätten, teilweise mit abgebrochenen Schalen oder Becken, die auf eine solche Nutzung hinweisen. Die Steine sind von positiver, lebensförderlicher Qualität und von hoher Strahlungsintensität. Die Kultsteine bilden somit einen „Kraftort“, der zum Auftanken und Meditieren einlädt. Die göttliche Verena soll den Menschen Weisheit zuteil werden, damit sie die richtigen Entscheidungen treffen. Aber auch die Wanderung auf den Tiergartenhügel ist ein Erlebnis. Je länger man sich dort aufhält, desto stärker spürt man die geheimnisvolle Ausstrahlung dieses Ortes. Die Ruhe, aber auch die Gegenwart alter Bäume des Eichenmischwaldes sowie des roten Gesteins mit seinen kleinen Höhlen und Nischen unterstreichen die mystische Ausstrahlung dieses Hügels. Als wäre diese goldene Kette als magisches Band um den Hügel herum zu spüren. Und beim Wandern hoch zum Kultplatz überkommt einem eine gewisse Harmonie und Zufriedenheit. An gewissen Stellen ist der Tiergartenhügel heute jedoch auch ein entweihter Platz – dort nämlich, wo Bagger das rote Gestein abgraben oder das Militär sich mit unterirdischen Anlagen in den Berg gegraben hat, wie Kurt Derungs, Landschaftsmythologe und Autor des Buches „Orte der Liebe“, bedauert.

Auf dem Tiergartenhügel trifft man auf mehrere Steinstätten, teilweise mit abgebrochenen Schalen, Becken oder Mühlsteinen. Foto: Fabrice Müller

Liebesglück auf den Bergen

Was sind das für Orte, die der Liebe geweiht sind und als Schauplatz von Sagen und Legenden dienen? „Wir haben es mit mythischen Landschaften zu tun, die durch Flüsse, Seen, Hügel, Berge, Grotten, Steine oder Bäume geprägt sind – also mit Naturgegebenheiten, die eng mit den Sagen verknüpft sind“, erklärt der Landschaftsmythologe und Dozent. Besonders häufig stehen in den Liebessagen der Schweiz Hügel und Berge im Zentrum. Die Sagenfiguren treffen sich auf diesen Anhöhen und geniessen die Liebe. „Im Aargau beispielsweise begegnet uns die venushafte Frau Hilde auf dem Goffersberg bei Lenzburg“, erzählt Kurt Derungs. Einst soll sie dort viele Bewerber empfangen haben. Noch heute warte sie bei Mondschein als weisse Frau auf den Geliebten. „Und auch hier entdecken wir wie beim Tiergartenhügel eine Körperlandschaft, denn der Goffersberg, der Lenzburger Schlossberg, und der nahe Hügel Bölli bilden zusammen eine liegende Landschaftsahnin. Frau Hilde ist also immer noch gegenwärtig“, sagt Kurt Derungs. Gerade gegenüber des Goffersberges erhebt sich der Hügel Heidenburg. Von diesem Höhenort berichtet die Sage, dass im Frühling eine junge Frau erscheine und von einem Burschen der Gegend einen Kuss verlange. Allerdings verwandle sie sich vorher in eine Kröte. „Zweifellos handelt es sich bei diesem Mädchen um den Frühlingsaspekt der erotischen Frau Hilde, die einen männlichen Partner im Initiationsritual zum Kuss auffordert. Meistens bestehen aber die jungen Männer diese mythische Probe nicht mehr“, erzählt der Autor. In den Alpen können mächtige Berge auch sagenumwobene Liebesorte sein – so zum Beispiel der Glärnisch mit dem Vrenelisgärtli. In den Geschichten rund um diesen Berg erscheint die mythische Verena als Gärtnerin, Frühlingsmädchen sowie als Sommerfrau. Mehrfach wird in den Erzählungen laut Kurt Derungs die Alp als Ort der Liebe genannt. In der Lenk des Berner Oberlandes etwa verständigen sich eine Sennerin und ein Senn durch das Alphorn und bekunden so ihre Liebe zueinander. In den Bündner Alpen heisst die Liebesgöttin Margaretha. „Frühgeschichtliche Funde in Tirol legen nahe, dass hinter dieser Sagengestalt die alträtische Göttin Reitia steckt. Jeweils im Sommer feiert sie auf einer Alp die Heilige Hochzeit mit ihrem Liebespartner, der ein Hirte war“, schildert der Autor.

Zugang zur Unterwelt


Höhle der Fee mit den Gänsefüssen und des jungen Schmiedes – die „Grotte aux Fées“ bei Vallorbe im Kanton Waadt. Foto: Kurt Derungs

Neben Anhöhen und Bergen ist das Wasser ein bevorzugter Liebesort. Seen, Flüsse und Quellen gelten als Reich der Nixen und Nymphen, aber ebenso als Zugang zur Unterwelt. Am Zürcher Hüttensee beispielsweise empfängt eine zauberhafte Nixe den jungen Burschen, dem sie vorher im Traum erschienen ist. Im Jura verkörpert eine Schlangenfrau den Fluss Doubs. Man nennt sie Melusine oder Vouivre: die geheimnisvolle Drachenschlange der Jura-Grotten. Mit dem Grafen von St. Ursanne feiert sie Hochzeit, so dass er ihr Liebespartner wird. Eng mit dem Wasser verbunden ist ebenso die Insel. Sie wird gemäss Kurt Derungs wie das Wasser als Jenseitsort betrachtet. An diesem Naturort fanden in vorchristlichen Zeiten gerne jahreszeitliche Rituale statt, ebenso feierte man dort die Liebe. So ragte auch der Tiergartenhügel einst als mythische Insel aus dem Wasser.

Interview

„Wir haben es hier mit mythischen Orten zu tun“

Der Landschaftsmythologe und Dozent Kurt Derungs beschäftigt sich in seinem neuesten Buch mit Orten der Liebe und ihrer Geschichte in der Schweiz.

Was erwartet uns beim Besuch der Orte der Liebe, wie Sie sie in Ihrem neuesten Buch beschreiben?

Kurt Derungs: Wir haben es hier mit mythischen Orten zu tun, die durch auffällige Naturgegebenheiten wie Berge, Hügel, Steine, Grotten, Seen oder Flüsse geprägt werden. Diese sind stets eng mit den Sagen verknüpft, denken wir zum Beispiel an die liegende Frauenfigur bei Lenzburg oder den bauchigen Tiergartenhügel bei Mels.

Haben diese Naturgegebenheiten die Menschen zu Sagen und zur Liebe inspiriert?

Solche charaktervollen Orte bieten sich als Kultplätze an. Oft erzählt eine Liebessage nur noch den letzten Rest von der einstigen Bedeutung eines Kultplatzes. Wahrscheinlich diente dieser früher für jahreszeitliche Rituale.

Können solche Orte auch eine ganze Region prägen?

Auf jeden Fall. Der Schlosshügel von Lenzburg wirkt prägend für die Stadt und die ganze Region. Mit den Doppelhügeln von Guggisberg wiederum identifiziert sich das ganze Gebiet, und das dazugehörende Volkslied ist über die Landesgrenzen hinaus bekannt geworden.

Welche Orte der Liebe bleiben Ihnen in besonderer Erinnerung?

Ich erlebte die beiden Hügel bei Guggisberg als sehr beeindruckend, weil sich dort die Körperlandschaft besonders imposant in der Landschaft manifestiert und zudem die Verena im Guggisberg-Lied als mythische Ortsgöttin besungen wird. In bester Erinnerung ist mir aber auch die Feengrotte bei Vallorbe – ein Ort, wo Quelle und Höhle miteinander verbunden sind. Hier sollen gemäss der Sagenliteratur die Feen ein Bad nehmen. Die geheimnisvolle Atmosphäre der Grotte – verbunden mit der mythischen Beschreibung – ist ein ganz besonderes Erlebnis.

In der heutigen Gesellschaft gehören Feen und Göttinnen ins Reich der Märchen. Warum sollten wir uns trotzdem damit auseinandersetzen?

In der Tat gehören diese Gestalten heute zur fiktionalen Welt. Doch wenn man weiss, dass sie einen mythologischen und historischen Hintergrund haben, erhalten sie plötzlich eine reale Bedeutung. Sie stehen nämlich oft]in einem konkreten Bezug zur Landschaft – seien dies Hügel, Berge, Steine oder Quellen. So ist zum Beispiel ein Berg ein lebendiger Ahnenberg oder ein Stein ein Nabelstein – das Zentrum einer ganzen Landschaft. Aus den Mythensagen schimmert hindurch, wie körperbezogen und beseelt man die Natur betrachtete.

Buchtipp:

Kurt Derungs

Orte der Liebe in der Schweiz

224 Seiten, edition amalia 2011, CHF 38.90

www.amalia.ch

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