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Im Einklang mit den Kräften der Natur

Die Geomantie beschäftigt sich mit Kraftorten, Energielinien, Planetenkräften und der Wirkung der Natur auf uns Menschen. Als Pendant zum chinesischen Feng Shui ist sie im Westen allerdings noch wenig bekannt.

Der Steinkreis als Kraftort und Verbindung zwischen Himmel und Erde.
Foto: pixabay.com

Fabrice Müller*

Es kursieren verschiedene Meinungen und Richtungen, die als Ursprung der Geomantie genannt werden. Zum einen sieht man in ihr ein Importprodukt, das aus den arabischen Ländern zur Zeit Karl des Grossen nach Europa gelangt sein soll. Zum andern wird die Geomantie als ein Produkt der in Europa ansässigen Kelten und Germanen betrachtet. Und schliesslich bringt man die Geomantie mit einer möglichen Urkultur in Verbindung – mit Atlantis; die Geomantie soll ein erhaltenes Erbe dieser Zivilisation darstellen. Die Geomantie ist so alt wie die Menschheit selbst, sagt der Geomant und Landschaftsingenieur Stefan Brönnle aus Dorfen (D). Sie gründe in der Begegnung des Menschen mit der Natur.

Wahrnehmung der Natur

Schon vor langer Zeit entwickelte sich aus Beobachtungen und intuitivem Reagieren auf die Zeichen der Natur ein Wissen, das über Generationen hinweg überliefert wurde. Je nach Kultur entstanden aus diesen Erfahrungen unterschiedliche Arten von „Geomantie“. Sie alle hatten eines gemein: die Auseinandersetzung und die Wahrnehmung der Natur. Woher weht der Wind? Welchen Lauf nimmt die Sonne? Welche Bahnen ziehen die Sterne? Welchen Weg durchschlängelt das Wasser? Was für Kraftlinien durchziehen den Boden? Die Geomantie geht davon aus, dass wir in ständiger Beziehung zu unserer Umgebung leben. Das Wort setzt sich aus „Geo“ für Erde und „Mantik“ für Interpretationskunst zusammen. Als Begriff bedeutet Geomantie einerseits Erdweisssagung, anderseits strebt sie eine harmonische Beziehung zwischen dem Menschen, seinen Bauwerken und der ihn umgebenden Natur an. Schon immer haben sich Bauten und Dorfformen an den natürlichen landschaftlichen Gegebenheiten ausgerichtet. Die Landschaft wurde als Ganzheit empfunden. In diesem Sinne ist Geomantie die Kunst, Lebensräume nach den Bedürfnissen der menschlichen Seele im Einklang mit der Ortskraft zu gestalten. „Noch bevor es Tempel gab, erlebte der Mensch den Raum der Landschaft“, sagt Stefan Brönnle. In den Elementen erfuhr der Mensch die Kraft des Göttlichen. Er nahm die Bewegungen des Himmelsgewölbes wahr, den Wechsel der Jahreszeiten der Erde. Er sah die Veränderungen der Pflanzen im Zyklus des Werdens und Vergehens und das Verhalten der Tiere. Und er erkannte den Wechsel des Wassers. „Die Elemente der Landschaft wurden somit zu Symbolträgern des heiligen Lebens auf der Erde“, so Stefan Brönnle.

Viele alte Kirchen stehen auf Kraftorten und früheren heidnischen Kultplätzen.
Foto: pixabay.com

Geomantie in Sakralbauten

Besonders im Bau von sakralen Räumen spielte dieses Wissen um die Kraft der Natur stets eine wichtige Rolle. Viele alte Kirchen stehen auf Kraftorten und früheren heidnischen Kultplätzen. Dort wird die Geomantie stark spür- und erlebbar. So beschreibt Stefan Brönnle in seinem Buch „Heiliger Raum“ (siehe Buchtipps), wie ein Kraftort von verschiedenen Religionen genutzt wurde. Bei Tas-Silg im Süden Maltas etwa befand sich ursprünglich eine Siedlung aus der matriarchalen Ghar Dalam Zeit (5’000 vor Christus). Ihr folgte ein megalithischer Tempel in der Tempelzeit, auf den ein phönizischer Astarte-Tempel gebaut wurde, gefolgt von einem römischen Juno-Tempel. Schliesslich wurde das Baptisterium eines frühchristlich-byzantinischen Marienheiligtums in die Hauptapsis des Megalithentempels gebaut. Zusammen mit der heutigen, hundert Meter entfernten Marienkirche „Maria im Schnee“ besitzt der Ort laut Stefan Brönnle damit eine über 7’000-jährige Kontinuität in der Verehrung des Göttlich-Weiblichen auf Malta. Auch der Wallfahrtsort Lourdes war, wie archäologische Grabungen während einer Umbauphase zeigten, wohl eine in der Eiszeit genutzte Kulthöhle. Für den Bau von Kirchen standen bis in die Barockzeit meist Geomanten im Einsatz, allerdings nur inoffiziell. Messungen haben ergeben, dass Ortsphänomene wie Wasseradern, Gitternetze, Kraftströme wie Ley- oder Drachenlinien wie auch Einstrahlpunkte, sogenannte kosmische Energiesäulen, ganz bewusst in die sakrale Architektur integriert wurden.

Allgemeine Profanisierung feststellbar

Spätestens mit der Aufklärung ist das Wissen um die feinstofflichen Kräfte der Natur im Herrschaftswissen weniger Geheimbünde verschwunden. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts begannen sich einzelne Europäer für das chinesische Feng Shui wie auch für das westliche Pendant, die Geomantie, zu interessieren. Island hingegen gilt als das einzige Land, in dem sich die geomantische Praxis ununterbrochen seit alten Zeiten erhalten hat. Ansonsten wurde die Geomantie mit dem Aufkommen der objektiven, also rein auf den Gegenstand bezogenen Wissenschaften verdrängt – bewusst oder auch unbewusst. Ein unrühmliches Comeback erlebte die Geomantie bzw. deren Anwendung im Dritten Reich, wo man mit dem Hakenkreuz auf ein kraftvolles, dem Buddhismus entliehenes Symbol setzte, Kommandozentralen auf alten keltischen Kraftplätzen baute und Aufmarschgelände nach geomantischen Gesichtspunkten auswählte. Mittlerweile arbeitet im Westen eine Generation an Geomanten und Feng Shui-Spezialisten, die östliches Wissen mit jenem der Geomantie und Biophysik verbinden. „Viele geomantische Brauchtümer gehörten früher zum Alltag. Heute sind sich die Menschen der Bedeutung beispielsweise einer Grundsteinlegung oder eines Richtbaums nicht mehr bewusst“, bedauert Stefan Brönnle und stelle eine allgemeine Profanisierung fest.

Geomantie an der Hochschule

Nicht so jedoch an einzelnen Hochschulen. Dort erhält die Geomantie – wenn auch nur zaghaft – einen Platz im wissenschaftlichen Kontext. An der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf wurde 2011 das Wahlfach „Landschaftsästhetik & Geomantie und Feng Shui in der Landschaftsarchitektur“ mit Stefan Brönnle als Lehrbeauftragter eingerichtet. Gleichwohl besteht zwischen der Geomantie und Naturwissenschaft ein gespanntes Verhältnis, wie Stefan Brönnle bestätigt: „Die beiden Disziplinen arbeiten fast konträr zueinander. Während die Naturwissenschaft ausschliesslich auf Objektivität setzt, darf, ja muss die Geomantie bis zu einem gewissen Punkt subjektiv bleiben.“ Deshalb stehe die Geomantie der Kunst fast näher. Hingegen könnten Einzelaussagen zu bestimmten Ortsqualitäten durchaus wissenschaftlich erfasst werden.

Immer mehr Menschen entdecken die Kraft besonderer Orte in der Natur.
Foto: pixabay.com

Psychologische Wirkung von Landschaften

Professor Erwin Frohmann vom Institut für Landschaftsarchitektur der Universität für Bodenkultur in Wien lässt geomantische Zugänge als intuitive Komponente in der Landschaftsarchitektur zum Zug kommen. Im Rahmen einer Studie untersuchte er beispielsweise die psychologischen Wirkungen von Landschaften auf den Menschen. 14 Versuchspersonen hielten sich während jeweils zehn Minuten an einem definierten Untersuchungsort auf. Dabei wurden physiologische und psychologische Messungen vorgenommen. Die Ergebnisse unterscheiden sich an den drei Untersuchungsorten in Abhängigkeit von den unterschiedlichen Raumqualitäten der einzelnen Landschaftsräume stark. Der Untersuchungsort am Wasserfall aktivierte die Versuchspersonen am stärksten. Im Wäldchen war bei den untersuchten Personen die stärkste vegetative Entspannung zu beobachten. „Die kontemplative Raumwahrnehmung zeigt, dass Landschaftsräume atmosphärische Qualitäten besitzen, die über ihren körperlich-ästhetischen Ausdruck hinausgehen“, sagt Erwin Frohmann. Ein Miteinander emotionaler und rationaler Zugänge zur Landschaftsanalyse ist für den Hochschuldozenten mit der Frage verbunden, wie stark die Naturwissenschaft bereit ist, auch mal über ihre Grenzen hinaus zu gehen. „Ansonsten besteht die Gefahr, im eigenen Wissensstand stecken zu bleiben“, so der Hochschulprofessor.

Ideomotorische Bewegungen und Aberglaube?

Noch steckt die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Geomantie in den Kinderschuhen. Die Wissenschaft ihrerseits tut sich oftmals schwer mit einer Lehre, die stark auf subjektive Wahrnehmungen setzt. Zu den grossen Kritikern gehört zum Beispiel die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung der Parawissenschaften (GWUP). So sehen Inge Hüsgen und Professor Erhard Wielandt vom Geophysikalischen Institut der Universität Stuttgart die wirkliche Ursache für das Ausschlagen von Wünschelruten bei sogenannten ideomotorischen Bewegungen. Darunter versteht man unwillkürliche Muskelbewegungen, die durch mentale Vorstellungen hervorgerufen werden. Zum Thema Wasseradern äussert sich die GWUP wie folgt: „Aus geologischer Sicht sind Wasseradern Ausnahmeerscheinungen, die in speziellen geologischen Situationen wie Karstgebieten auftreten, aber kaum jemals im Untergrund städtischer Wohngebiete.“ Clemens Pilar, Kalasantinerpater und Theologe aus Wien, befasst sich mit weltanschaulichen Strömungen unserer Zeit, vor allem mit der Esoterikwelle. Er bezeichnet die Geomantie als „Sammelbecken für verschiedenste magische und abergläubische Ideen“. Vom theologischen Standpunkt aus sei die Behauptung der Göttlichkeit der Erde abzulehnen. Die Anbringung von Zeichen zur Sammlung kosmischer Kräfte müsse unter die Praktiken der (weissen) Magie eingereiht werden. „Der Gedanke, die Verbindung von <Himmel und Erde> durch Energiearbeit herzustellen, widerspricht unserer Überzeugung, dass die Verbindung zwischen Himmel und Erde eine Frage des Dialoges ist“, sagt Clemens Pilar und warnt davor, dass durch den Versuch, Engel und Engelskräfte durch magische Praktiken in einer Stadt oder auf Menschen zu „verankern“, erhebliche Probleme für den Einzelnen im Sinne okkulter Belastungen zur Folge haben können.

*Fabrice Müller, Journalist, Feng Shui-Berater und Geomant: www.raum-und-sein.ch

Linktipps:

www.stefan-broennle.de

www.integrale-architektur.org (Verein für integrale Architektur)

www.vrgs.ch/home (Verband für Radiästhesie und Geobiologie Schweiz)

www.geomantiegruppen.ch

www.gloria-patri.de www.gwup.org (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften)

Ruhe!

Verbunden mit den Kräften der Natur